Rugby World Cup 2015: Südpazifischer Doubleheader Teil 1 – New Zealand All Blacks v Tonga 47:9
New Zealand All Blacks, Rugby, Rugby World Cup 2015 Add commentsNach meinem tollen Auftakttrip zum Rugby World Cup 2015 im Londoner Wembleystadion, sollte es nun im zweiten Akt nach Newcastle gehen. Südpazifischer Doubleheader stand auf dem Programm! Zuerst New Zealand All Blacks v Tonga am Freitag Abend und dann am nächsten Tag Samoa gegen Schottland. Neben den beiden Spielen, die ich im Vorfeld als vielversprechend eingestuft hatte, gab es auch noch ein paar andere sehr gute Argumente für den Trip: Ich war z.B. noch nie in Newcastle und auch noch nie im St. James Park, dem Stadion von Newcastle United. Die Aussicht auf einen Stadionpunkt, eine neue Sportart, 3 Tage in England und 4-8 Pubbesuche haben dann auch direkt Freund Stefan für den Trip hinreichend begeistert. Somit waren wir schon zu zweit.
Als der besagte Tag vor der Tür stand, ging die Reise auch schon überaus lustig los. Wir wollten im Prinzip mitten in der Nacht nach Manchester fliegen und von dort mit der Bahn gemütlich nach Newcastle schaukeln. Soweit so gut. – Hätte ich meinen Wecker gehört… Ich habe durchaus eine gewisse Ruhe und es gibt so Momente, da bin ich darüber relativ glücklich. Der genannte Freitag war so einer davon. Ich war jedenfalls rettungslos und eigentlich auch schon hoffnungslos zu spät dran. Man darf sich das so vorstellen: Ich stehe irgendwann gefühlte 4 Minuten nach dem Aufstehen um 6 Uhr morgens unten bei mir vor der Tür und wartete auf das Taxi, da zeigte mein Handy schon “Boarding now”. Nicht cool. Überhaupt nicht cool, kann ich mal sagen. In dem Moment hab ich schon ein bisschen über Plan B und Plan C nachgedacht. Wie komme ich nach Manchester, wenn ich diesen Flug verpasse? Nun gut, der Taxifahrer kam und ich bat ihn mich in etwa 3 Minuten zum Flughafen zu bringen. Da mussten wir gleich beide herzlich lachen. Er sagte in 3 Minuten bringt er mich zum Edeka. Der ist bei mir direkt um die Ecke. 😉 Ist ja schön, wenn ein Tag so früh am Morgen schon mal mit Humor beginnt. Normalerweise dauert es jedenfalls ca. 20 Minuten und dann hätte ich den Flug mit hoher Sicherheit verpasst. Er schaffte es in wagemutigen, nicht gesetzteskonformen 9, was ihm ein entsprechend großzügiges Trinkgeld und meine ewige Dankbarkeit eingebracht hat! Sicherheitsschleuse und dann bin ich auch gleich in einen leichten Galopp zum Gate übergegangen. Die lange Schlange an der Passkontrolle musste ich leider auch noch rechts auf dem Standstreifen überholen. – In diesem Moment überlegt man sich, ob es nicht auch mal sehr cool sein müsste mit Blaulicht durch die Stadt zu knallen. Das muss sich ungefähr ähnlich anfühlen. Das war natürlich auch nicht direkt fair, ging aber einfach nicht mehr anders. Ich kam also schnaufend und erschöpft am Gate an und konnte auch direkt einsteigen. 😉 Stefan wartete schon und war doch irgendwie deutlich entspannter. Warum eigentlich? Das war jetzt definitiv ein Erlebnis was ich mal nicht zur Nachahmung empfehlen möchte. Immerhin war ich danach glockenwach.
Danach entspannte sich die Reise aber glücklicherweise etwas. Der Flug war gut, die Bahnfahrt nach Newcastle auch. Bahnfahren in England ist einfach recht entspannt. Die Züge sind kurz, selten so richtig voll, das ist alles absolut gemütlich.
In Newcastle angekommen haben wir erst mal unsere Sachen im Hotel abgeworfen. Das Hotel hatte ich weit über ein Jahr im voraus gebucht. Newcastle hat wenig Unterkünfte und da galt mal wieder, dass der frühe Vogel nicht nur den Wurm fängt, sondern erschwerend, dass nicht für alle Vögel überhaupt Würmer vorhanden sind. Ich war jedenfalls glücklich mit meiner Wahl. Gute Unterkunft, recht nah zum Zentrum. Mit Freude stellten wir dann auch gleich fest, dass das Stadion auch fußläufig gut zu erreichen ist. Wir waren uns direkt einig dort mal als erstes hinzugehen. Der Tag war wunderschön sonnig, im Prinzip genau so wie man sich einen Tag Anfang Oktober in Nordengland NICHT vorstellt. Eigentlich sogar das glatte Gegenteil davon, aber natürlich leider geil.
Wir haben also erst im Pub in der Haupttribüne was gegessen und sind danach auf Fansfest umgezogen. Das war praktischerweise auch direkt gegenüber. Dort hatten sich auch schon einige Rugbyanhänger eingefunden. Schön erst mal ein Bild mit dem Weltpokal gemacht, der da auf der Ladefläche von so nem Jeep rumstand. Vermutlich war das eine Kopie, aber vielleicht auch nicht. Möglich ist hier alles. Als wir dann so auf den Heinekendoppeldeckerbus geklettert sind, in der Sonne stehend, in einer Hand ein Bier, vor uns die riesige Leinwand, da möchte man das Leben doch direkt drücken und knutschen. Ein wirklich sensationell entspannter Tag.
Abends ging es dann erneut zum Stadion. Das Spiel der All Blacks gegen Tonga stand auf dem Programm. Rund ums Stadion war ordentlich was los. Viele Anhänger des Sports, der All Blacks, schon einige früher angereiste Schotten und Bewohner der Stadt, für die dieses Wochenende auch ein absolutes Highlight war. Newcastle ist nicht Manchester und schon gar nicht London. Die Ecke in Nordengland ist jetzt… sagen wir mal wirtschaftlich nicht die allerstärkste… D.h. so große Events sind dort selten, um so mehr haben sich alle bemüht eine gute Atmosphäre für die zahlreichen Besucher zu erzeugen. Das war schön! Faszinierend ist dabei für uns auch gewesen, dass ein Turnier, war in Deutschland eigentlich nahezu niemanden interessiert und kaum eine Rolle spielt, in einem anderen Land in Europa Tausende Menschen bewegt und eine echt riesige Nummer ist.
Beim Rugby ist die Aggression immer auf dem Feld, nie auf den Rängen. Das ist ein massiver Unterschied zum Fußball und hat sich auch in Newcastle mal wieder bewahrheitet: Einfach eine sehr herzliche, fröhliche Stimmung. Ein Ordner sagte so im Vorbeigehen: Könnte es nicht alle 2 Wochen so sein? Da kann man durchaus mal einen Moment drüber nachdenken. Es hat auch verschiedene Vorteile, so kann man z.B. im Stadion Bier mit auf die Ränge nehmen (ein nogo im englischen Fußball) und Sicherheitskontrollen fallen auch weg. Ich mag das einfach.
Im Stadion stellten wir erst mal zwei Dinge fest: Zum einen, dass es doch ein ziemlich zusammengeflicktes Gebilde aus alten Tribünen und riesigem neuen Oberrang ist und zum anderen, dass wir perfekte Plätze hatten. Schön im unteren Mittelrang in der Ecke. Optimal zum Rugbyschauen! Es durfte also losgehen. Der Grund weshalb ich unbedingt Spiele gegen die südpazifischen Inseln sehen wollte, ist das die Leute dort etwas Besonderes sind. Die leben in jeder Hinsicht unter sehr einfachen Bedingungen, gleichen das aber mit ganz viel Stolz auf ihre Kultur und ihr Land aus. So läuft das dann auch auf dem Rugbyfeld: Sie verlieren sehr viel mehr Spiele, als sie gewinnen, aber sie schenken niemals eines ab. Niemals nie. Spiele gegen Fiji, Tonga oder Samoa sind dementsprechend auch für die besten Mannschaften der Welt keine lästige Pflicht, sondern eine Herausforderung. Die muss man vollkonzentriert angehen, denn sonst tut es richtig weh. Die Islander sind nämlich keine zierlichen Personen und gleichen durchaus taktische Defizite mit Härte und Kollision aus. 😉
Die Mentalität keiner Herausforderung auszuweichen zeigte sich dann auch schon direkt nach den Nationalhymnen. Der Haka der All Blacks ist vom kulturellen Hintergrund ein Tanz / Challenge der Maori. Tief verwurzelt in der Tradition Neuseelands. Nun, aber wie man sich denken kann, gibt es sowas natürlich auch auf Tonga und den anderen südpazifischen Inseln. Der Tanz von Tonga heisst Sipi Tau und auf dieses gegenseitige, teilweise gleichzeitige Challengen der beiden Teams habe ich mich den ganzen Tag gefreut.
Seht selbst:
Das ging also schon sehr cool los. Das Spiel der All Blacks war dann im Vergleich zu den vorherigen Partien der Vorrunde glücklicherweise auch deutlich verbessert. Es war noch nicht auf Topniveau, aber sie haben den challenge angenommen und vor allem Tonga in Bezug auf deren physische Spielweise, eigene Härte entgegen gesetzt. Es entwickelte sich also ein munteres, gutes Rugbyspiel zweier Mannschaften, die beide auf den Try aus waren. Taktisch sicher nicht höchste Schublade, aber zum Anschauen sehr gut. Angriffsrugby ist aus meiner Sicht einem taktisch ausgefeilten Kickingansatz ja immer vorzuziehen und in der Hinsicht wurden wir nicht enttäuscht. Tonga hat in der ersten Hälfte zudem sehr gut dagegen gehalten. Wenn man sich den Score anschaut, sieht es so aus als wenn es von Minute 1 eine klare Sache gewesen wäre, aber Tonga lag zur Halbzeit nur 14:3 zurück. Sehr gute Defense, sehr diszipliniert, da haben sie den All Blacks wenig Raum gegeben. Es hätte zum Pausentee sogar noch enger stehen können, weil sie kurz vor Ende der Hälfte eine sehr, sehr gute Gelegenheit zu scoren einigermaßen unglücklich wegschenken.
In der zweiten Hälfte drehte sich das dann aber etwas. Wie schon gegen Argentinien konnten die Kiwis von der Bank einfach bessere Leute bringen und so das Tempo konstant hoch halten. Und ab Minute 65 hinterließ das dann auch Spuren bei Tonga. Es ergaben sich Lücken, die All Blacks konnten mit ihrem starken, schnellen Backs diese nutzen und den Linebreaks folgten fast zwangsläufig Trys. Tja und am Ende steht es 47:6 und alle denken es war eine absolut eindeutige Sache. Aus meiner Sicht ist Tonga da aber insgesamt vom Score zu schlecht weggekommen. Das war eine couragierte, gute Leistung!
Nach dem Spiel sind wir noch ein bisschen im Unterrang rumgeschlendert, weil Rugbyspieler im Gegensatz zu von Profifussballsuperstars noch ein gewisses Maß an Wertschätzung für den Fakt haben, dass sie vor so vielen Zuschauern spielen dürfen. Es war zudem das 100. Länderspiel von Maa Nonu, dem großen Second Five der All Blacks. Da 100 Tests im Rugby allgemein, aber vor allem in Neuseeland eine totale Hausnummer sind, wurde er nach dem Spiel noch ein bisschen geehrt und gefeiert. – Währenddessen durften seine Kollegen, die nur später eingewechselt wurden, auf dem Feld noch ein ziemlich umfangreiches, hartes Sprinttraining absolvieren.
Was aber dann total schön war ist, dass sie selbst danach noch zu uns an die Bande gekommen sind, um Fotos zu machen oder Autogramme zu geben. Da drückt man Malakai Fekitoa dann eben mal sein Handy in die Hand und er macht was draus. 😉 Ich erwähne das auch deshalb, weil in dem Moment der Unterschied zum durchkommerzialisierten Fußball wieder recht deutlich war. Ich hatte mal so ein unschönes Erlebnis mit unserer Fußball Nationalmannschaft auf den Faroer, wo Fans von den Spielern doch als sehr lästiges Übel wahrgenommen wurden. Das hat mich damals extrem geärgert und ist im Rugby anders. Die sind einfach noch weniger gepampert und ich möchte hoffen, das bleibt noch eine möglichst lange Zeit so. Für Fans und Zuschauer ist das jedenfalls schön, wenn die Sportler nicht völlig unerreichbar abgeschirmt sind. Identifikation und dieser ganze romantische Krams… 😉
Also ein total runder erster Tag! Wir waren beide entsprechend happy und haben uns schon auf den nächsten Tag gefreut: The Scots are in town! Samoa gegen Schottland.
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