Livesportfan Blog

Ich war ja, wie hier schon mal ausführlich beschrieben, auf einem kleinen Kurzurlaub in Wales. Fußball in der Liveversion im Stadion war hierbei eigentlich nicht weiter vorgesehen. Da wir ja aber von Stansted zurückfliegen wollten, habe ich wenigstens einen kurzen Blick in den Premierleague-Spielplan riskiert.

Wie es der berüchtigte Zufall so will hatte die englische Liga nichts besseres zu tun, als ein attraktives Heimspiel der Tottenham Hotspur an der White Hart Lane zu terminieren. Und dann auch noch gegen den FC Liverpool! Was für eine praktische Gelegenheit, zumal Heike auch noch nie an der White Hart Lane war. Das ist tatsächlich eine durchaus lustige Tatsache, denn: Sie ist schon seit einigen Jahren Mitglied bei Tottenham. Natürlich mehr oder weniger unbewusst, aber sie hat dennoch ca. 60 Loyality Points bei den Spurs, was einer schon recht regelmäßigen Besuchsfrequenz entspricht. Für uns also zwangsläufig eine gute Gelegenheit, den Club bei dem schon so lange aktives Mitglied ist auch mal aktiv vor Ort zu erleben. – Ich bin mitgegangen, da es für mich ja schon schön ist, dass sie dann auch hin und wieder bei den Sportrips mitkommt, die mir wichtig sind… – Wenn ihr nach diesem Bericht nichts mehr von mir lest, hat sie mich für den Satz übrigens erschlagen. 😉

Wir sind also Sonntag entspannt nach London reingefahren und waren eigentlich auf einem ganz lockeren Zeitplan unterwegs. Das ändert sich dann innerhalb der Stadtgrenzen von London allerdings ziemlich schnell. Diese Stadt ist selbst am Sonntag das wandelnde Verkehrschaos. Unglaublich! Man kann sich keine Vorstellungen darüber machen, wie das wohl unter der Woche ist. Jetzt habe ich aufgrund der längeren Zeit in Australien glücklicherweise kein sonderliches Problem mit der Linksfahrerei, aber man schätzt halt den Zeitbedarf recht schnell falsch ein. Irgendwann hatten wir das Hotel aber doch erreicht.

Ein wunderschöner, zwar kalter, aber sehr sonniger Tag in London. Ich liebe diese Stadt sehr und je öfter man in einer fremden Stadt ist, desto mehr Spaß macht sie ja einfach auch. Es ging dann zügig in die Tube und raus in den Norden Londons. Ich habe meine Anreise zur White Hart Lane bei den letzten Besuchen ein gutes Stück optimiert bzw. beschleunigt. Früher bin ich immer mit der Tube zur Liverpool Street und von dort mit der normalen Rail zum Stadion gefahren, was immer wenigstens eine Stunde gedauert hat, tendentiell eher länger. Neuerdings mache ich das anders: Tube zur Station Seven Sisters und von dort mit dem Bus die High Road entlang zur White Hart Lane. Das geht echt so viel schneller, hätte ich nicht für möglich gehalten. Da es in London ziemlich viele Buslanes gibt, braucht auch der Bus von der Tubestation nicht sehr lange. Insgesamt hat es vom Hydepark jedenfalls keine 40 Minuten gedauert, ein sehr guter Wert.

Positiver Nebeneffekt: Man fährt mit dem Bus quer durch den Stadtteil und sieht dabei aus anderer Perspektive wie die Fans eigentlich aus allen Richtungen zum Stadion strömen. Der Stadtteil ist ausserdem sowieso sehr lebendig. Im Moment gibt es ja die Diskussionen, ob Tottenham nach den olympischen Spielen 2012 das Olympiastadion beziehen soll. Diese Debatten werden jedenfalls von offizieller Vereinsseite ziemlich forciert, weil man eben ein größeres Stadion haben möchte. Insgesamt wäre das für mich vermutlich das Ende einer engen Beziehung, denn die große Faszination Tottenham Hotspur liegt für mich ganz klar in der tiefen Verwurzelung im Stadtteil. Das ist selbst in England in der Form besonders und aus meiner Sicht auch die Seele des Clubs. Die Mannschaft kann natürlich problemlos auch in Stratford spielen, aber der Verein wäre dann nicht mehr derselbe. Das ist im Osten von London, nicht im Norden. Soll halt West Ham in die blöde Kiste ziehen, aber ich hoffe die Spurs bleiben wo sie sind. – Mal ganz abgesehen davon, dass sie in meinen Augen nicht das Potential haben ein 80.000 Zuschauer Stadion kontinuierlich zu füllen.

Glücklicherweise sind das ja aber aktuell nur Überlegungen, warten wir es mal ab. Rund um die White Hart Lane war es an diesem Sonntag jedenfalls wie immer: Wuselig, bunt, schön. Noch auf ein kurzes Bier im Bell & Hare gewesen und dann ging es auch schon durch die aktive TÜV-Werbung für Sicherheit in Fußballstadien (bei Tottenham nennen sie das kurioserweise “Eingang”…) ins Innere der Lane. Wie eigentlich immer bisher hatte ich Tickets für den South Stand besorgt. Ich weiß gar nicht wieso, wobei es in der Nähe der Gästefans meistens am lustigsten ist.

Die Reds aus Liverpool waren mit einem großen Gästeblock vor Ort. Ich habe bisher noch bei keinem Spiel eine größere Zahl an Gästefans erlebt. Dabei ist mir dann aber auch das ganze Ausmaß des Dilemmas bewusst geworden, in das ich mich da aktiv reinbegeben habe: Ich mag wirklich beide Teams und wenn ich es mir aussuchen soll / muss, halte ich natürlich zu den Reds, da ich schon seit über 20 Jahren zu denen halte. Eine missliche Situation.

Dafür aber eine gute Erfahrung, denn sowas werde ich nicht noch mal machen. Das ist Quatsch und bringt einfach nichts. – Und wenn man in der Ausgangslage noch bei den Spursfans sitzt, ist es extra schwierig. Hätte ich mir denken können, aber ich muss zugeben die Situation habe ich dann doch etwas unterschätzt. Der Kopf sagt das geht schon irgendwie und das Herz stellt dann vor Ort fest, dass man irgendwie im falschen Block sitzt. 😉

Man muss dann in England in so einer Situation auch sehr vorsichtig sein, weil die Stewards Fans, die für die Gästemannschaft halten und nicht im Gästeblock sind, knallhart aus dem Stadion schmeissen. Das ist deutlich humorloser als bei uns. Das wusste ich aber, dementsprechend war es eher die Faust in der Tasche.

Dafür wurden wir dann aber mit einem wirklich spannenden Fußballspiel entschädigt. Der FC Liverpool hat diese Saison schon riesige Probleme in eigentlich allen Bereichen, aber zumindestens in der ersten Hälfte gegen Tottenham Hotspur war davon relativ wenig zu sehen. Die Reds haben zwar abwartend gespielt, waren jedoch nach vorne stets gefährlich. Steven Gerrard war nicht dabei, um so bemerkenswerter und für mich auch überraschender. Tottenham hat man hingegen die Müdigkeit angemerkt. Sie hatten unter der Woche Werder Bremen in der Championsleague geschlagen und damit die Qualifikation fürs Achtelfinale gesichert, da konnte man schon sehr deutlich die Anlaufschwierigkeiten mit dem Ligaalltag merken.

Interessant war dann zu beobachten, wie die Fans der Spurs mit dem schleppenden Start umgehen. Ich muss sagen: Nicht sonderlich gut. Ehrlich gesagt war ich doch ziemlich negativ überrascht. Die Leute waren super ungeduldig mit dem Team und haben sogar gepfiffen. Das ist in England eigentlich ein totales no-go und kommt normalerweise wirklich nicht vor. – Das ist dann übrigens auch der entscheidende Unterschied zwischen Fans und Supporters, wie Fans in England genannt werden! Speziell die Anhänger der Spurs habe ich jedenfalls bisher immer als sehr geduldig und unterstützend erlebt. Da wurden immer kleine Aktionen, gewonnene Zweikämpfe und gute Pässe mit Applaus belohnt.

Am Sonntag war das nicht mehr so ganz der Fall. Mir ist das vor einigen Wochen schon gegen Sunderland aufgefallen, da habe ich es aber noch auf den schwächeren Gegner zurückgeführt. Aber gegen den FC Liverpool? Die sind zwar dieses Jahr nicht gut, aber einen Heimsieg als selbstverständlich zu erwarten, das ist neu im Lande Tottenham. Die Fans entwickeln da offenbar gerade so eine Form von großer Erwartungshaltung und sind ein bisschen erfolgsverwöhnt. Keine gute Entwicklung wie ich finde, aber wahrscheinlich menschlich.

Na ja. Liverpool ging jedenfalls in der ersten Hälfte 1:0 in Führung und eigentlich hätte Maxi Rodriguez kurz vor dem Halbzeitpfiff noch das 0:2 machen müssen. In guter alter, verspielter Gaucho-Manier war er aber der Meinung, in diesem Moment vor Gomes noch mal einen ganz neuen Trick versuchen zu müssen. Und wie so ziemlich jeder Argentinier ausser Messi und Maradona ist er damit im ersten Versucht gescheitert. Argentinier….. Es will mir nicht in den Kopf, warum man alleine vor dem Torwart nicht einfach mal hart schiessen kann?

Dadurch war das Spiel in der zweiten Hälfte also weiterhin offen und irgendwann haben sich dann auch die Spurs darauf besonnen vielleicht etwas mehr zu investieren. Sie haben Druck gemacht und bekamen dadurch natürlich auch Torchancen. Liverpool hat teilweise sehr engagiert verteidigt und die Spurs benötigten ein Eigentor, um zum Ausgleich zu kommen. Danach hatten sie Oberwasser, aber eigentlich sah es bis zum Ende nach Unentschieden aus. Da Liverpool diese Saison aber immer für einen Aussetzer gut ist, haben sie sich den auch an der Lane gegönnt. In der Nachspielzeit!!! Lennon hat sich nicht 2x bitten lassen und schön zum 2:1 eingenetzt. Danach war die Stimmung auf den Heimrängen zweifellos gut und deutlich besser als das ganze Spiel über.

In der Tube zurück in die Stadt ist mir dann noch eine wirklich unglaubliche Geschichte passiert. Muss ich unbedingt erzählen. Man stelle sich einen tubewagon voller Spurs-Fans vor. Also alle mit Schal, teilweise Trikot und Mützen. Es war jetzt nicht so eng, dass man sich gegenseitig gewärmt hätte, aber schon gut gefüllt. Mittendrin steht ein Landsmann indischer oder pakistanischer Herkunft. Der Kollege hatte Gepäck dabei und war auch nicht als Fan gekleidet, offensichtlich auf dem Weg zum Bahnhof. Er hat mich dann angesprochen und gefragt wie das Spiel ausgegangen wäre. Ich ihm also Ergebnis und Torschützen genannt. Da sagt der doch ganz unschuldig und fröhlich zu mir – OHNE QUATSCH – dass er ja Fan von Arsenal wäre und mit den Spurs nicht so viel am Hut hätte. So nach dem Motto wir Fußballfans unter uns. Unglaublich und in dieser Konstellation einfach auch dämlich und gefährlich. Wenn sich Fangruppen in London hassen, dann sind es die beiden. Ich glaube er hat das gar nicht böse gemeint und war mehr so Sorte Fallschirmspringerfaneinheit Arsenal (am Stadion abgeworfen, Spiel mehr oder weniger interessiert schauen, dann lautlos verschwinden…) und hatte da überhaupt keine Sensibilität. Sowas schützt ja manchmal auch, aber ich fand es schon lustig, als er das sagte und der halbe Zug den Kopf in seine Richtung dreht. :))

Globalisierung des Sports und die Nachteile. Aber bevor ich jetzt noch kurz meine Meinung zur WM Vergabe nach Qatar mitteile, höre ich besser auf.

Das war übrigens der letzte Sporttrip für mich in diesem Jahr. – Falls ich nicht noch spontan am Wochenende zu St. Pauli gehe. 😉