Livesportfan Blog

Derbytime in Nord London! Insgesamt wird aus meiner Sicht in letzter Zeit der Derbybegriff doch teilweise stark überstrapaziert. Vermutlich weil man mit so einem “Derby” wichtig suggeriert und offensichtlich von allem mehr verkaufen kann. Mehr Tickets, mehr Merchandise, mehr Fernsehen. Tja, die Welt ist leider zum Teil schlecht und Geld regiert sie nun mal. Im Prinzip ist inzwischen ja alles ein Derby, wo dich in der Vergangenheit mal 2 Spieler angefaucht haben oder die beiden Orte bei mittelmäßiger Zoomstufe auf Google Maps noch im gleichen Kartenausschnitt sind. Das ist natürlich dann letztendlich Quatsch, stört aber auch oftmals nicht weiter. Konsequenterweise wird so ziemlich jede Paarung in der Premierleague innerhalb der Stadtgrenzen von London auch gleich mal als Derby bezeichnet. Und bei aktuell 6 Londoner Vereinen in der Premierleague, gibt es da zahlreiche muntere Konstellationen. Jeder Woche ein Derby sozusagen. Die Paarung Tottenham Hotspur gegen Arsenal London verdient diese Bezeichnung aber zur Abwechslung absolut! Normalerweise geht es auf dem Level der Premierleague zwischen den meisten Vereinen und Fans relativ entspannt zu. Hier ist das anders: die Fangruppen können sich echt mal überhaupt nicht leiden! Gar nicht. Mit dem Hassbegriff bin ich im Sportumfeld vorsichtig, aber hier scheint er teilweise angebracht zu sein. Das versprach also schon mal eine sensationelle

Atmosphäre!

Ich habe auch eine Historie was dieses Spiel angeht. Wie ihr richtig vermutet stand das Spiel schon eine ganze Weile ganz oben auf meiner persönlichen Todo Liste. Tatsächlich hatte ich auch die letzten beiden Jahre jeweils Tickets für diese Partie. Das ist ja ansich schon mal keine Selbstverständlichkeit, aber dennoch hat es noch nie geklappt? Warum? Die Frage kann man an die englische Premierleague weiterreichen. Es gibt wohl keine andere Liga, der die Fans im Zusammenhang mit Spielterminierungen so dermaßen egal sind. Da wird munter verschoben, gerne auch mal um mehrere Wochen. Sehr nervig und so ergab es sich, dass ich mich immer wieder von den Tickets trennen musste.

Als dann im Januar der Vorverkauf der Tickets startete, war ich entsprechend skeptisch, ob ich mich überhaupt darum bemühen sollte. Wie immer in diesen Fällen siegte aber das Herz über den Verstand.

Freund Stefan hatte das Spiel schon mal gemacht, war aber auch dieses Mal wieder vor Ort. Er hat mich dann in zahlreichen SMS davon überzeugt, dass wir es in diesem Jahr unbedingt gemeinsam erleben müssten.

In der Bahn war es eigentlich entspannt. Bis auf ein paar übermütige, neutral gekleidete ArsenalFans, die unbedingt ne Lampe in der Bahn zerstören mussten, war es auch alles sehr ruhig. Die erste Überraschung erlebte ich dann beim Verlassen der Bahn: 2 Menschen im Mesut Özil Trikot! Die Überraschung war hierbei nicht, dass tatsächlich Menschen sein Trikot tragen (um die englische Sun zu zitieren: 45 Millionen Pfund für den einzigen Deutschen, der keine Elfmeter schießen kann…),  nein, die Überraschung war, dass man problemlos im Arsenaltrikot zwischen den Tottenham Fans rumrennen konnte. Das hätte ich so eher nicht erwartet. Das würde sich jedenfalls kein Manchester United Fan rund um die Anfield Road trauen.

Ansonsten war es aber ein traumhaft sonniger Tag im Londoner Norden! Bei so einem Wetter macht Tottenham richtig, richtig Spaß. Es gibt rund um das Stadion ein paar Pubs, die offene Hinterhöfe haben in denen mit Blick aufs Stadion gegrillt und gezapft wird. Die Menschen sind alle auf der Straße, ein ganz munteres Treiben, einfach eine exzellente Fußballathmosphäre!

Es war alles sehr ruhig, sehr entspannt. Und als ich fast schon etwas enttäuscht war, kamen die Gästefans unter Polizeibegleitung die Straße hoch. In Deutschland würde man bei so zwei befeindeten Fangruppen weiträumig absperren, es wären gefühlt 2000 Polizisten anwesend und vermutlich wäre der Gästeeingang ein Hochsicherheitsbereich. Nun…. In England läuft das anders ab. Der Gästeeingang ist direkt neben der Fankurve der Spursfans, die Polizei ist vorhanden, besteht aber im wesentlichen aus einer Reiterstaffel und getrenntes in den Block gehen fällt mal komplett aus! Es läuft vielmehr so: die Spursfans warten auf die Gästefans und dann geht man gemeinsam über diese enge Straße zu den Eingängen. Praktischerweise sind die ja auch direkt nebeneinander. 😉 Das ganze lediglich getrennt durch ein paar Polizisten auf diesen riesigen Polizeidinosauriern mit Hufen. Die Fangruppen gehen also nebeneinander her und beschimpfen sich dabei aufs allerübelste. Sensationelle Atmosphäre muss ich sagen! Diese Pferde müssen konstant AC/DC in voller Lautstärke in ihrer Box hören, um bei diesem totalen Geschrei nicht nervös zu werden. Unglaublich! Man wundert sich hier und da, dass es dennoch eigentlich keine Ausschreitungen gibt, aber in England gilt halt auch: du fasst nur einmal das Pferd an und wirst es nie wieder tun, versprochen. Da wird nicht mehr lange verhandelt und deeskaliert. Vermutlich einer der Gründe, weshalb diese Trennlinie am Ende doch eingehalten wird. Ein zweiter Erklärungsversuch: letztendlich wollen sie halt doch alle auch das Spiel sehen!

Das war also schon mal ein richtig guter Start! Im Block angekommen ging es dann im Prinzip auch direkt mit dem Spiel los. Eigentlich stehen wir immer im South Stand hinter dem Tor irgendwo im Unterrang. Dieses Mal hatten wir uns zur Abwechslung aber mal auf der Gegengerade platziert. Reihe 3, direkt an der Mittellinie. Das waren super Plätze, ich denke da werden wir jetzt häufiger einchecken. Ich war jetzt schon einige Male an der Lane, aber man muss wirklich sagen: von der Atmosphäre und der Lautstärke toppt keine Paarung das Spiel gegen Die Gunners von Arsenal London! Das ganze Stadion war sehr, sehr laut. Ich fand es riesig! Hier mal ein kurzes Video:

Es war also alles angerichtet für einen netten Familiennachmittag mit den rot weiss gekleideten Freunden

aus Nord London.  Problem: Die wissen einfach nicht wie sich gute Gäste verhalten. Da schießt der Özil doch direkt nach knapp 10 Minuten das 1:0! In diesem Satz sind gleich mehrere Dinge extrem bemerkenswert: a) Özil war offensichtlich weit genug in der gegnerischen Hälfte, um Gefahr auszustrahlen, er hat b) selbst aufs Tor geschossen und c) dieses auch noch getroffen!!

Da war die Stimmung vorerst natürlich bei den Heimfans etwas im Keller. Das legte sich aber zügig und der Frust übers Gegentor wurde einfach mit wüsten Beschimpfungen kompensiert. Wenn man in England so dicht am Feld sitzt steigt die Bewunderung für gegnerische Aussenverteidiger noch mal um ein vielfaches. Was die sich alles 90 Minuten anhören dürfen ist schon recht beeindruckend.

Die Spurs mühten sich nach Kräften, waren aber in der ersten Hälfte letztendlich nicht sehr gefährlich. Das änderte sich dann aber in Halbzeit 2. Die Truppe kam mit einer ganz anderen Körpersprache aus den Katakomben und sofort war der Druck da. Arsenal kam jetzt eigentlich kaum noch aus der eigenen Hälfte.

Die Spurs haben zudem einen neuen, jungen Stürmer mit Namen Harry Cane und der Typ ist eine absolute Granate!

Erst verwertete er eine Ecke zum 1:1 und als er dann 5 Minuten vor Schluss mit einem wirklich sehenswerten Kopfball sogar noch das 2:1 machte, ist die White Hart Lane förmlich explodiert! Das sind ja die Momente, die ich in einem Fussballstadion so liebe. Wenn sich die geballte Energie von vielen Tausend Menschen bei so einem Tor entlädt! Die Leute fliegen über die Sitze, liegen sich in den Armen, herrlich! Eine sensationelle Atmosphäre!

Ein toller Tag im Londoner Norden und wenn ihr mal was lustiges machen möchtet: Tottenham Hotspur v Arsenal London ist definitiv eine Reise wert!